Die Bundestagswahl 2025 auf TikTok
Soziale Medien spielen eine immer größere Rolle im Wahlkampf. In den Medien und in der Wissenschaft wird besonders die Rolle von TikTok diskutiert – eine Video-Plattform mit der vor allem die AfD junge Wähler:innen bei vorangegangenen Wahlen angesprochen hat. Wie haben sich die anderen Parteien darauf eingestellt?

Illustration: Ditho Design GmbH
Am 9. Januar 2025 erzielt Christian Lindner mit einem Clip mehr als 16 Millionen Views auf der Kurzvideo-Plattform Tiktok – ein Rekordwert! Ist der FDP-Vorsitzende also der heimliche Star des sozialen Mediums? Nicht unbedingt, denn die Bewertung des Erfolgs von Parteien in sozialen Medien ist komplex. An besagtem Tag hatte Lindner auf einer Wahlkampfveranstaltung von einer Kritikerin eine Torte ins Gesicht bekommen. Die 15-sekündige Aufzeichnung des Vorfalls nutzte die Partei für eine offensive Botschaft: Lindner lasse sich durch nichts aufhalten!
Am 23. Februar 2025 wurde in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Nach der Europawahl und den Landtagswahlen des letzten Jahres und dem starken Ergebnis der AfD, insbesondere bei jüngeren Wähler:innen, wurde in Medien und Wissenschaft lebhaft diskutiert: Welchen Einfluss hat das soziale Medium TikTok des chinesischen Unternehmens ByteDance auf unsere Wahlen?
Auf der Plattform werden kurze Videos gepostet, die kommentiert und weiter geteilt werden können. Ein weitgehend geheimer, aber sehr effektiver Empfehlungsalgorithmus zeigt jede:r Nutzer:in genau das, was diese wahrscheinlich interessant findet. So verbringen Nutzer:innen oft mehrere Stunden am Tag mit der App.
Laut ARD/ZDF-Medienstudie ist TikTok das drittbeliebteste Soziale Medium in Deutschland. 19% aller Deutschen ab 14 Jahren nutzen die App mindestens einmal wöchentlich. Am beliebtesten ist TikTok bei den 14-29 Jährigen, die zu 52% mindestens einmal pro Woche einschalten. Damit verzeichnete die Plattform 2024 auch als Einzige ein deutliches Wachstum in dieser Zielgruppe.
Die Parteien auf TikTok
Die Bundestagsparteien teilen auf ihren Kanälen vor allem Ausschnitte aus den Reden der Fraktionsmitglieder. Das Medium eignet sich besonders gut dafür, prägnante und emotional zugespitzte Botschaften zu zitieren. Immer häufiger werden Botschaften so formuliert, dass sie sich nicht in erster Linie die anderen Parlamentarier:innen, sondern die Zuschauer:innen in sozialen Medien ansprechen.
Viele Parteien zögerten lange, sich stärker auf TikTok zu engagieren. Zu groß waren die Vorbehalte gegen den neuen chinesischen Player am Markt. Befürchtungen hinsichtlich staatlicher Einflussnahme und mangelndem Datenschutz sowie Vorurteile bezüglich der Relevanz angebotener Inhalte führten zu Zurückhaltung. Ein junges Publikum mit Vorliebe für Tanzvideos schien nicht das richtige Umfeld für politische Debatten.
Groß war daher die Aufregung, als im vergangenen Jahr offenkundig wurde, wie erfolgreich die AfD ihre politischen Inhalte auf TikTok verbreitet. Seit Januar 2022 betreibt die AfD-Fraktion im Bundestag einen eigenen Kanal. Zwar sind FDP und SPD 2020 bzw. 2021 früher gestartet – allerdings mit deutlich weniger durchschlagendem Erfolg. Die AfD kommt im Bundestagswahlkampf auf über 560.000 Follower:innen – die mit Abstand größte Fangemeinde aller Bundestagsparteien. Die SPD an zweiter Stelle ist mit 160.000 schon weit abgeschlagen. Die weiteren Plätze: Linke 75.000, FDP 40.000, Grüne 24.000 und mit CSU 10.000 (neben den Fraktionen betreiben die jeweiligen Parteiorganisationen eigene Kanäle, z.T. mit höheren Follower-Zahlen).
Die wissenschaftliche Debatte
Forscher:innen beobachten die Aktivitäten auf TikTok mit besonderem Interesse, kommen dabei aber bisweilen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Nach den Landtagswahlen 2024 stellte beispielsweise die Studie des Potsdamer Social Media Monitor fest: »Die AfD ist auf TikTok doppelt so erfolgreich wie alle anderen Parteien zusammen«. Dieser Erfolg in sozialen Medien spiegele den Wahlerfolg, insbesondere in der Gruppe der Erst-Wähler:innen.
Im November kommt eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung zu dem Schluss: »Die digitale Performanz der AfD wird in der Öffentlichkeit häufig überschätzt und hängt stark von medialer Resonanz ab«. Die Friedrich-Naumann-Stiftung wiederum findet im Januar 2025 heraus, dass TikTok-Nutzende Verschwörungsmythen sowie russischen und chinesischen Falschinformationen häufiger Glauben schenken, als gleichaltrige Nicht-Nutzende der Plattform.
Bezüglich der Bundestagswahl konstatierten die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) und das Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI), dass die Dominanz der AfD auf TikTok inzwischen gebrochen sei. Andere Parteien hätten die Wichtigkeit der Plattform erkannt und sprechen dort mittlerweile ebenfalls erfolgreich junge Wähler:innen an.
Der Wahlkampf
Im Social Media Observatory des FGZ haben wir ebenfalls den Wahlkampf auf TikTok beobachtet. Können wir die jüngsten Ergebnisse der Kolleg:innen, dass die Dominanz der AfD inzwischen gebrochen sei, bestätigen? Dies haben wir mithilfe der “Datenbank öffentlicher Sprecher*innen” (DBöS, Schmidt et al. 2024) untersucht. Die DBöS ist eine systematische und möglichst vollständige Sammlung öffentlicher Personen und Organisationen aus den Bereichen Politik und Medien samt ihrer Social Media Präsenzen. Für die hier vorgestellte Analyse betrachten wir alle Videos der in der DBöS enthaltenen politischen Akteure (Politiker:innen und Partei-Organisationen) der im Bundestag vertretenen Parteien.
Vom 17. Dezember 2024 bis zum 23. Februar 2025 haben politische Akteure von 32 Parteien 15314 Videos auf TikTok gepostet. Tatsächlich sind alle Bundestagsparteien mittlerweile mit mehreren Kanälen vertreten und sind Urheber von 93.6% aller Wahlkampf-Videos.
Anzahl der Kanäle der Bundestagsparteien auf TikTok | |
Partei | N |
SPD | 214 |
AfD | 189 |
B90/GRÜNE | 164 |
CDU | 87 |
FDP | 65 |
LINKE | 56 |
CSU | 31 |
BSW | 12 |
Die Aktivität der Parteien unterscheiden sich jedoch deutlich voneinander. Die AfD dominiert die Statistik mit 4282 geposteten Videos im Wahlkampf, gefolgt von SPD (3218) und Grünen (2275).

Abbildung 1: Anzahl der Videos parteipolitischer Akteure im Bundestagswahlkampf 2025
Der Erfolg auf TikTok wird anhand der Interaktionen der Nutzer:innen mit den Inhalten der Parteien gemessen. Die AfD führt auch hier nach wie vor in allen Metriken. Aber wie in der Studie von AAS und EFBI zeigt sich, dass Die Linke zumindest bei den Likes aufgeschlossen hat. Dennoch werden AfD-Videos deutlich häufiger angesehen, kommentiert und weiter gepostet. Gerade diese Interaktionen mit einer engagierten Fan-Gemeinde auf der Plattform dürfte dazu beitragen, dass der TikTok-Algorithmus regelmäßig Videos der Partei auf die Handyscreens von Millionen Nutzer:innen schickt.

Abbildung 2: Anzahl der Nutzerinteraktionen mit Videos parteipolitischer Akteure im Bundestagswahlkampf 2025
Diese aggregierten Statistiken, die auch in anderen TikTok-Studien gezeigt werden, müssen allerdings mit Vorsicht interpretiert werden. Auf TikTok können nämlich einzelne Videos durch virale Verbreitung die Zahlen massiv beeinflussen, ohne dass daraus ein allgemeiner Trend für die Partei abzulesen wäre. So sticht in einer tageweisen Betrachtung hervor, dass das Tortenwurf-Video von Christian Lindner ein krasser Ausreißer ist. Ohne dieses Video schmelzen die View-Zahlen der Liberalen auf ein Niveau von Bedeutungslosigkeit. Der Erfolg der Linken kommt vor allem durch die Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek zustande, die mit ihrer emotionalen Rede nach der gemeinsamen Abstimmung von CDU und FDP mit der AfD am 29.01. im Bundestag mehr als 7 Millionen TikTok-Zuschauer:innen erreichte. In den Tagen danach gelingt es der Linken immer wieder, beachtliche Reichweiten für ihre Videos zu erzielen.

Abbildung 3: Anzahl der täglichen Views für Videos parteipolitischer Akteure im Bundestagswahlkampf 2025
Unsere Schlussfolgerungen
Mittlerweile sind alle Bundestagsparteien auf TikTok vertreten und das zunehmend auch erfolgreich. Gerade der Erfolg der Linken seit Ende Januar illustriert, das die Dominanz der AfD bei TikTok erfolgreich aufgebrochen werden kann. Die Einschätzung, dass die Dominanz der AfD gebrochen sei oder ihr Einfluss überschätzt würde, können wir auf Basis unserer Beobachtungen allerdings nicht teilen: Die in Teilen rechtsextreme Partei führt alle von uns erfassten Statistiken an – teilweise mit erheblichem Abstand zu den anderen Parteien. Wie auch die oben genannten Vorgänger-Studien feststellen, ist es vor allem das unterstützende Umfeld der Partei, dass mit seinen Aktivitäten zu regelmäßigen viralen Erfolgen von AfD-Videos auf der Plattform beiträgt.

Abbildung 4: Anzahl der Tage während des Bundestagswahlkampfs 2025, an denen eine Partei am meisten Aufmerksamkeit (Views) auf sich gezogen hat.
So konnte die Partei in diesem Wahlkampf an 24 Tagen am meisten Zuschauer:innen unter allen Parteien erreichen. Um diese anhaltende Dominanz zu brechen, sollten die demokratischen Parteien ihre Unterstützer:innen motivieren, ihre Posts engagierter zu liken, zu reposten und zu kommentieren. Gleichzeitig muss die Plattform ihrer Pflicht nachkommen, die vermutlich große Zahl unauthentischer, teilweise wahrscheinlich automatisierter Support-Accounts der Rechten zu reduzieren.
Gregor Wiedemann ist Senior Researcher für Computational Social Science am Hamburger FGZ-Standort. Er beschäftigt sich in seiner Forschung u.a. mit der Automatisierung von Diskurs- und Inhaltsanalysen mit Hilfe von Text Mining und Natural Language Processing und der automatischen Erkennung von Hassrede in sozialen Medien.
Philipp Kessling ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger FGZ-Standort. Er ist beratendes Mitglied des Zentrums für Kommunikation, Medien und Information (ZeMKI) der Universität Bremen und promoviert dort im Lab für Digitale Kommunikation und Informationsvielfalt (Digital Communication und Information Diversity, DCID) unter Prof. Dr. Cornelius Puschmann. Sein Hauptinteresse gilt der digitalen Öffentlichkeit und dem Zusammenspiel von Plattformen.
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Gregor Wiedemann und Philipp Kessling (24. März 2025). Die Bundestagswahl 2025 auf TikTok. Zusammenhalt begreifen. Abgerufen am 22. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13jzb